In den vergangenen Wochen bekam ich im Rahmen von Interviews, aber auch informellen Gesprächen immer wieder die Frage gestellt, was Gesundheitsförderung eigentlich genau ist. Das ist meiner Ansicht nach eine ganz wichtige Frage – nicht nur für Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen, sondern gerade auch für „Laien“. Um die eigene Gesundheit und das eigene Wohlbefinden aktiv fördern zu können, ist es aus meiner Sicht ganz wichtig, die Perspektive, die die Gesundheitsförderung einnimmt, zu verstehen und sie auch bewusst einzunehmen.

Ich selbst arbeite seit mittlerweile gut 10 Jahren im Bereich der Gesundheitsförderung und stelle leider immer wieder fest, dass der Begriff „Gesundheitsförderung“ in unserer Gesellschaft einerseits oft missverstanden wird, andererseits auch missbräuchlich verwendet wird. Dies führt dazu, dass es viele Fehlannahmen und Vorurteile gegenüber der Gesundheitsförderung gibt. In diesem Blog-Beitrag gehe ich vier dieser Vorurteile näher auf den Grund.

1. Gesundheitsförderung ist dasselbe wie Prävention.

Zwar verfolgen die Gesundheitsförderung und die Prävention ein ähnliches Ziel, aber sie nehmen jeweils eine andere Perspektive ein. Prävention bedeutet einfach gesagt „Vermeiden von Krankheiten“. Durch präventive Maßnahmen soll die Wahrscheinlichkeit, an einer bestimmten Erkrankung zu leiden, verringert werden. Morbiditäts- und Mortalitätszahlen innerhalb der Gesellschaft sollen reduziert werden, und zwar – und das ist das Zentrale – indem Risikofaktoren minimiert werden. Beispiel: Die Zahl der Herz-Kreislauferkrankungen in einem bestimmten Land soll gesenkt werden, indem Menschen dazu angeregt werden, aus der Bewegungsarmut rauszukommen, weniger zu rauchen, weniger Alkohol zu trinken und so weiter.

Die Gesundheitsförderung hingegen richtet den Blick weniger auf Krankheiten, sondern vielmehr auf Gesundheit und Wohlbefinden. Ziel ist es, Gesundheit und Wohlbefinden zu erhalten und zu fördern. Dies soll gelingen, indem Ressourcen gestärkt werden, und zwar Ressourcen von einzelnen Personen, Ressourcen von Teams, Familien, Gruppen, Organisationen und Gemeinschaften. Bedeutet: Ziel der Gesundheitsförderung ist es, Gesundheit und Wohlbefinden zu fördern, indem Gesundheitsressourcen auf- und ausgebaut werden. Der Fachbegriff für die „Entstehung von Gesundheit“ lautet „Salutogenese“ und wurde von einem wesentlichen Begründer der Gesundheitsförderung, nämlich Aaron Antonovsky, geprägt.

2. Im Mittelpunkt der Gesundheitsförderung steht Aufklärungsarbeit zu den Themen „Gesunde Ernährung“ und „Gesundes Bewegungsverhalten“.

Diese Annahme ist aus vier zentralen Gründen nicht richtig, wobei diese vier Gründe gleichzeitig auch wesentliche Prinzipien der Gesundheitsförderung sind.

Prinzip „Determinantenorientierung“

Ziel der Gesundheitsförderung ist es, die Determinanten der Gesundheit – also die Faktoren, die unsere Gesundheit bestimmen – positiv zu beeinflussen. Dabei stellen das Ernährungs- und Bewegungsverhalten einer Person nur zwei der sehr vielen Einflussfaktoren auf den unterschiedlichen Ebenen dar – angefangen vom eigenen Mindset und der körperlichen Konstitution über weitere Verhaltensweisen, soziale Beziehungen und Netzwerke, Lebens- und Arbeitsbedingungen bis hin zu Umweltbedingungen, wirtschaftlichen Gegebenheiten und so weiter.

Prinzip „Settingorientierung“

Ein Setting wird in der Gesundheitsförderung als ein bestimmter Lebensbereich bzw. ein abgegrenztes System definiert, in dem sich Menschen aufhalten bzw. bewegen. Gesundheitsförderung findet vor allem in diesen Settings statt – angefangen vom Kindergarten über verschiedene Schultypen bis hin zu Betrieben, Gemeinden, aber auch allen anderen Orten, an denen Menschen ihre Zeit verbringen. Dabei ist es Ziel der Gesundheitsförderung, nicht nur das Gesundheitsverhalten der in den Settings befindlichen Personen positiv zu beeinflussen, sondern vor allem auch die Verhältnisse, also die Strukturen gesundheitsförderlich zu gestalten, eben gesundheitsförderliche Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen. Dies kann auf unterschiedliche Art und Weise erfolgen, z.B. indem das Sozialklima gefördert wird, am Thema Führung in einer Organisation gearbeitet wird und so weiter.

Prinzip „Empowerment“

In der Ottawa Charta (1986) – dem zentralen Grundlagenpapier der Gesundheitsförderung – heißt es, dass Gesundheitsförderung „auf einen Prozess [abzielt], allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie dadurch zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen.“ Bedeutet: Es geht weniger um eine top-down-Strategie, bei der der Gesundheitsförderer bzw. die Gesundheitsförderin als Lehrer*in auftritt und die Zielgruppe die „zu Belehrenden“ sind. Natürlich braucht es ein gewisses Maß an Gesundheitswissen bzw. Gesundheitskompetenz, um ein gesundes Leben führen zu können. Aber: Das vorrangige Ziel der Gesundheitsförderung liegt darin, dass Menschen selbst die eigene Gesundheit und das eigene Wohlbefinden positiv beeinflussen, indem sie ihre Gesundheitsressourcen selbst erkennen und im Alltag auch einsetzen.

Auch das Prinzip der „Partizipation“, das vor allem bei der Umsetzung von Gesundheitsförderungsprojekten in einzelnen Settings zur Anwendung kommt, zeigt, dass es in der Gesundheitsförderung um viel mehr als nur um reine Aufklärungsarbeit zu den Themen Bewegung und Ernährung geht. Demnach soll die Zielgruppe selbst an Projekten teilnehmen und zwar nicht nur in der Form, dass sie Angebote in Anspruch nimmt oder Workshops besucht. Stattdessen soll die Zielgruppe in alle Phasen eines Gesundheitsförderungsprojektes involviert sein, von der Ermittlung der Ausgangslage, über die Definition der Projektziele und die Planung von Maßnahmen, bis hin zur Umsetzung und Evaluation des Projektes.

Prinzip „Multidimensionales Gesundheitsverständnis“

Der Gesundheitsförderung liegt ein multidimensionales Gesundheitsverständnis zugrunde. Multidimensional heißt, dass umfassendes Wohlbefinden bzw. umfassende Gesundheit nur dann möglich sind, wenn man sich auf allen Ebenen wohl und gesund fühlt, neben der körperlichen eben auch auf der geistigen, der sozialen, der seelischen und der spirituellen Ebene.

3. Gesundheitsförderung arbeitet nur mit Personen, denen es nicht so gut geht, also vor allem mit kranken Personen.

Genau das Gegenteil ist der Fall: Die Gesundheitsförderung arbeitet primär mit gesunden Personen. Ziel ist es, die Gesundheit von Menschen zu erhalten und zu fördern und eben nicht, Krankheiten zu behandeln. Dabei liegt der Gesundheitsförderung ein positives Gesundheitsverständnis zugrunde, wobei „positiv“ heißt, dass Menschen bewusst Lebensfreude, Zufriedenheit, Glück, positive Gefühle, Wohlbefinden und so weiter erleben bzw. verspüren. Bedeutet: Gesundheit ist aus Sicht der Gesundheitsförderung eben nicht nur die Abwesenheit von Krankheit.

4. Jede*r kann als Gesundheitsförderer bzw. Gesundheitsförderin arbeiten. Es braucht keine bestimmte Ausbildung.

Diese Annahme möchte ich nicht gänzlich als „falsch“ bezeichnen. Warum? Der Beruf des Gesundheitsförderers ist anders als die meisten Gesundheitsberufe in Österreich nicht gesetzlich geregelt. Bedeutet gleichzeitig, dass die Berufsbezeichnung „Gesundheitsförderer“ bzw. „Gesundheitsförderin“ nicht berufsrechtlich geschützt ist und sich eigentlich jede*r als „Gesundheitsförderer“ bzw. „Gesundheitsförderin“ bezeichnen darf.

Und in der Tat ist es auch so, dass sehr viele unterschiedliche Professionen und Disziplinen an der Gesundheitsförderung mitwirken. Und das ist aus meiner Sicht auch ganz wichtig – vor allem aufgrund der vielfältigen Einflussfaktoren auf unsere Gesundheit sowie des multidimensionalen Gesundheitsbegriffes. Dabei braucht es natürlich das Zusammenwirken unterschiedlicher Expert*innen, angefangen bei Psycholog*innen und Soziolog*innen über Ernährungswissenschaftler*innen und Sportwissenschaftler*innen bis hin zu Physiotherapeut*innen, Ergotherapeut*innen und viele mehr.

Nichtsdestotrotz ist Gesundheitsförderung eine komplexe und professionelle Leistung. Den vielfältigen Anforderungen an die Gesundheitsförderung und den Prinzipien der Gesundheitsförderung können wir meiner Ansicht nach nur gerecht werden, wenn es Expert*innen gibt, die über ein umfassendes Bündel an Kompetenzen verfügen. Mit Recht gibt es meiner Ansicht nach dementsprechend auch eigene Studiengänge auf Hochschulniveau zum Thema Gesundheitsförderung. Bedeutet zusammengefasst: Gerade in der Gesundheitsförderung ist es wichtig, dass unterschiedliche Professionen mit ihren unterschiedlichen Expertisen und Kompetenzen zusammenarbeiten und gemeinsam einen Beitrag dazu leisten, die Gesundheit von Personen zu erhalten und zu fördern. Aber: Die Umsetzung professioneller und evidenzbasierter Gesundheitsförderungsstrategien, Gesundheitsförderungsprogramme und Gesundheitsförderungsprojekte braucht meiner Ansicht nach professionelle, gut ausgebildete Gesundheitsförderungsexpert*innen.

Möchtest du mehr über dieses Thema erfahren? Dann höre sehr gerne in meine Podcastfolge #60 „Was Gesundheitsförderung eigentlich wirklich ist (und was nicht): Vorurteile auf dem Prüfstand“ rein.

Empfehlung:

IUHPE – Publikationen zum CompHP-Rahmenkonzept: https://www.iuhpe.org/index.php/en/comphp-2/1249-comphp-publications-2